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Bei der Europawahl machte sich auch bei den jugendlichen Wählern ein Rechtsruck bemerkbar.

Riedlingen – Was geht bei der Jugend in Deutschland vor? Das fragen sich nach den Wahlen am 9. Juni Laien wie Experten aus sämtlichen politischen Lagern und suchen nach Antworten. BLIX-Autor Benjamin Fuchs ist 18 Jahre alt und Erstwähler. Der Abiturient am Kreisgymnasium in Riedlingen analysiert, gibt Einblicke, zieht Schlüsse und macht Vorschläge.

16 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland zwischen 16 und 24 Jahren wählten am 9. Juni die als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestufte „Alternative für Deutschland“ AfD. Das sind elf Prozent mehr als noch 2019. Die Grünen wählte bei der letzten Europawahl 2019 noch mehr als jeder dritte Jungwähler. Fünf Jahre später müssen die Grünen einen historischen Verlust von 23 Prozent der Stimmen in dieser Altersgruppe verzeichnen. Ähnliches spiegelt sich lokal zum Beispiel bei der „Juniorwahl“ am Kreisgymnasium Riedlingen wider, einer offiziellen Wahlsimulation an Schulen in ganz Deutschland. Immerhin jede zehnte Schülerstimme ging an die AfD. Fast jede dritte Stimme ging an die Union. Die Grünen erhielten nur knapp fünf Prozent. Wie lassen sich diese Veränderungen im Wahlverhalten der Jugend erklären? Aus meiner Position als Erstwähler heraus stelle ich Überlegungen zu diesen sicherlich zukunftsweisenden Ergebnissen an.

Unser Autor Benjamin Fuchs ist 2005 in Tübingen geboren und seit 2011 wohnhaft in Oberschwaben. Derzeit bereitet er sich am Kreisgymnasium Riedlingen mit den Leistungskursen Deutsch, Geschichte und Englisch auf das Abitur vor. Der Nachwuchsjournalist berichtete zuletzt in BLIX über „Beethovens letztes Klavier“ (BLIX, Jan/Feb. 2024) sowie über die Genussmanufaktur in Riedlingen (BLIX, März 2024). Foto: privat

In meinen Augen hat der allergrößte Teil der Jungwähler die Wahl ernst genommen. Eine Wahl der AfD aus Spaß oder Provokation halte ich deshalb für kein valides Argument. Eine wichtigere Rolle spielen tatsächlich Medien. Ob populistische Kurzvideos des Ex-Europaspitzenkandidaten der AfD, reißerische Schlagzeilen von Boulevard-Zeitungen oder auch etwas Banales wie die Kommentarsektionen in sozialen Netzwerken, also die Möglichkeit für jeden Nutzer, auch unqualifizierte Kommentare auf Stammtischniveau zu Nachrichten abzusetzen – sie alle können Jugendliche teils unterbewusst über einen langen Zeitraum beeinflussen. Ein Grund dafür ist natürlich, dass prozentual mehr junge als alte Menschen soziale Netzwerke nutzen. So können dort besonders Jugendliche in Kontakt mit manipulativen, nicht überprüften oder falschen Darstellungen kommen. Des Weiteren ist die AfD ausgerechnet auf der Plattform am erfolgreichsten, die schwer in der Kritik steht für die Verbreitung von Falschinformationen und die Nähe zum chinesischen Staat: TikTok. Nicht selten steigen die Klickzahlen, je drastischer, je provokativer der Inhalt eines Videos ist und je vermeintlich simpler die Lösung für ein schwieriges Problem. Populismus eben. Auf der anderen Seite entwickelt sich das kritische Hinterfragen von politischen Vorgängen erst mit der Zeit und ist bei vielen Erstwählern schlicht noch nicht entwickelt. Das ist kein Argument dafür, das Mindestwahlalter wieder anzuheben – vielmehr zeigt es den Wert früher politischer Aufklärung und Bildung im Netz sowie in der Schule.

Die Grundlage für den aktuellen Trend zu konservativen und rechtspopulistischen Inhalten in der Jugend liegt meiner Meinung nach in generellen Zukunftsängsten, in enger Verbindung zu einem Gefühl von Ohnmacht. Hören wir Jugendlichen vom Klimawandel, Wirtschaftskrisen, neuen oder wieder entflammten Kriegen, Fachkräftemangel, steigenden Lebenshaltungskosten etc., kann man schnell pessimistisch werden. Das hat auch mit einem Mangel an Erfahrung zu tun. Oft kennt man im jungen Alter nur eine Lebenssituation, in Deutschland etwa die gute Infrastruktur und Versorgung sowie der noch immer große Wohlstand, trotz der Folgen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. So ist es verständlich, dass die Zukunftsängste zum Teil irrational groß sind. Es fehlt der Vergleich zu früheren Krisenzeiten. So entsteht als direkte Folge der Eindruck, es müsse einen radikalen politischen Umbruch geben, um die eigene Zukunft zu sichern.

All das kriegen in Deutschland die Parteien der Ampel-Regierung zu spüren, die das Pech haben, in einer schwierigen und aufgeheizten Lage regieren zu müssen – es ist anzunehmen, dass keine einzige Partei oder Koalition aktuell brillieren würde. Die große Kritik an der Ampel ist teils berechtigt, teils unberechtigt. Sicher ist, dass die Grünen als häufiger Buhmann am meisten Unmut oder sogar Hass erhalten, was sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelt. Nicht nur aus rechtspopulistischen Kreisen erfährt die Partei willkürliche Schuldzuweisungen. Kernthemen der Grünen wie Klima- und Naturschutz brachten der Partei 2019 noch viele Stimmen ein. Sobald Sicherheit und Wirtschaft in Europa wackeln, wird Umweltschutz allerdings von vielen Wählern und damit Politikern in der Rangordnung nach hinten verschoben. Auch die „Fridays For Future“-Proteste haben an Bedeutung und Zulauf verloren. Natürlich macht der Klimawandel vielen Jugendlichen mittel- bis langfristig Angst. Kriege und der Verlust von Wohlstand scheinen vielen jedoch als akutere und doch besser lösbare Probleme zu erscheinen als die Erderwärmung. Beides gilt auch für Immigration bzw. die Sorge vor einer Überlastung des Landes sowie Konflikten, wo Integration nicht gelingt. Sicherlich gibt es bei dieser Thematik regionale Unterschiede, vor allem zwischen Stadt und Land.

Wie sich herausstellt, entspricht dies auch dem Resultat einer wissenschaftlichen Untersuchung. Der Jugendforscher Simon Schnetzer und der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann untersuchten 2022, was junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren beschäftigte. Das Ergebnis macht deutlich: Junge Menschen haben Zukunftsängste. Doch dabei habe sich verändert, wovor sie sich fürchten. Noch im Jahr zuvor sei die Klimakrise die größte Sorge der Befragten gewesen (56 Prozent). Inzwischen sei sie von der Angst vor Krieg abgelöst worden – für 68 Prozent der jungen Menschen in Deutschland sei der Krieg die größte Zukunftsangst. Dabei würden sie sich besonders um die wirtschaftlichen Folgen sorgen: hohe Energiepreise, Inflation, etc. Weitere Ängste beträfen die Zukunft des Rentensystems und die Spaltung der Gesellschaft. Seit der Studie dürften Angst oder Unmut betreffs Immigration hinzugekommen sein, und damit vermutlich einer der Gründe für rund ein Sechstel aller Jungwähler, die AfD zu wählen. Warnungen der deutschen Wirtschaft vor der Anti-EU-Politik der AfD, schwere Skandale um AfD-Politiker angesichts Remigrationsplänen und Zahlungen aus China, generell das große Unruhestiften in Politik und Gesellschaft – all das nehmen junge wie alte AfD-Wähler in Kauf. Oder begrüßen es sogar. Überdurchschnittlich viel AfD wird in der Jugend allerdings auch nicht gewählt – die 16 Prozent entsprechen dem gesamtgesellschaftlichen Wahlergebnis (und Rechtsruck!) in ganz Deutschland. Selbst wenn der Klimaschutz an Bedeutung verloren hat, zeigt der Aufstieg der Volt-Partei auf neun Prozent bei den 16- bis 24-Jährigen, dass Themen wie Klima und Europa durchaus Relevanz haben – nur eben neuerdings auf Kosten anderer ökologisch und sozial eingestellter Parteien, die in Verruf geraten sind. Ich halte es nicht für realistisch, dass sich an den politischen Verhältnissen bis zur Bundestagswahl 2025 noch grundlegend etwas verändern wird. Nur zu hoffen, dass sich die Situation im Land und in Europa verbessert und dadurch dem Rechtspopulismus die Grundlage entzogen wird, ist riskant. Wir leben im weltweiten Vergleich noch immer in weit überdurchschnittlichem Wohlstand, woran auch aktuelle Krisen grundsätzlich nichts ändern werden. Da es an diesem Bewusstsein in der Bevölkerung aber derzeit zu mangeln scheint, muss das Ziel sein, das kritische Hinterfragen von rechtsextremer Politik und Einstellungen zu erhöhen. Für die Jugend könnte dies in schulischen Unterrichtseinheiten oder Workshops geschehen, auch im Netz.

Und zuletzt liegt es in der eigenen Kraft aller gemäßigten Parteien, gute, überzeugende politische Arbeit zu leisten. Meinungsverschiedenheiten in der Ampel könnten mit weniger Ideologie und mehr pragmatischer Realpolitik oft gelöst werden. Abschließend ist den Parteien ans Herz zu legen, gezielter auf die Jugend einzugehen. Meine Tipps: Die explodierenden Führerscheinkosten deckeln. Deutschlandweit Schulbeginn um 8.30 Uhr. Vergünstigungen für Zugreisen durch Deutschland und Europa. Geringere Mieten in Unistädten unterstützen. Man muss es nur wollen – und angesichts des Rechtsrucks auch tun. Denn dass die Zukunft des Landes an meiner Generation hängt, ist keine Meinung, sondern eine Tatsache.

Autor: Benjamin Fuchs



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